Bestimmung der wahren Kontaktfläche weicher Kunststoffe

BMWK INNO-KOM 49VF190053 | Laufzeit: 06.2020 – 11.2022 Susanne Fritz, FILK Freiberg
  • Kategorien:
  • Technische Textilien/Composite
  • Werkstoffcharakterisierung

Ausgangssituation

Die Kontaktfläche zwischen zwei Materialien oder Körpern ist ein ganz wesent­licher Einfluss­faktor für die Aus­prä­gung wichtiger tech­nischer Grenz­flächen­phäno­mene wie Adhäsion, Haftung, Reibung, Verschleiß, Stör­geräusch­ent­wicklung, Wärme- und Ladungs­über­gang. Dabei kann in Abhängig­keit der Material- und Belastungs­bedingungen die für die Grenz­flächen­phäno­mene entschei­dende „wahre Kontakt­fläche“ um mehrere Größen­ord­nungen von der nach außen in Erscheinung tretenden „schein­baren Kontakt­fläche“ abweichen. Trotz viel­fäl­tiger wissen­schaft­licher Unter­suchungen und diverser theo­reti­scher Lösungs­ansätze ist das Thema „wahre Kontakt­fläche“ noch nicht erschöpfend behandelt. Vor allem im Bereich der „weichen“ Kunst­stoffe (mit geringem Vernetzungs­grad und Einsatz­gebiet ober­halb der Glas­übergangs­temperatur), für die viele experimen­telle Methoden nicht anwend­bar und viele Modell­vor­stellungen nicht gültig sind, gibt es der­zeit noch keine geeignete Methode zur Beur­teilung oder Abschätzung der wahren Kontakt­fläche.

Projektziel

Ziel des Projektes war es deshalb, wesent­liche Charakte­ristika der wahren Kontakt­fläche bei weichen Kunst­stoffen zu ermitteln und zu quanti­fi­zieren. Daraus sollte ein einfaches mathe­ma­tisches Modell zur schnellen, näherungs­weisen Berech­nung der wahren Kontakt­fläche bei weichen Kunst­stoffen generiert werden. Anhand von Material­eigen­schaften (wie Polymer­typ, Deformations- und Adhäsions­verhalten), Struktur­para­metern auf verschie­denen Größen­skalen sowie den Belastungs­bedingungen (wirkende Kräfte, Temperatur oder Belastungs­zeit und –geschwindigkeit) sollte damit die sich ausbildende wahre Kontakt­fläche praxis­nah abschätz­bar sein. Ein solches Modell wäre sehr nütz­lich für die Entwick­lung und Opti­mierung funktio­naler Materialien, da es zukünftig eine wirt­schafts­rele­vante, modell­basierte Vorher­sage verschie­denster Grenz­flächen­phänomene wie Adhäsion, Reibung, Verschleiß, Stick-Slip, Haptik, Wärme­über­tragung oder elektri­sche Leitung ermög­lichen könnte.

Lösungsweg

Aufgrund der Besonderheiten weicher Kunst­stoffe ist die Anwendung einer einzelnen Methode zur experi­men­tellen Bestimmung der wahren Kontakt­fläche nicht aus­reichend. Es wurden daher mehrere verschiedene Methoden eingesetzt, um die Kontakt­fläche zu charakteri­sieren. Die Ergebnisse der Methoden sollten unter Berück­sichti­gung der jeweiligen Grenzen und Annahmen verglichen, geprüft und inter­pre­tiert werden. Sowohl experi­men­telle als auch computer­ge­stützte theo­re­tische Methoden kamen zum Einsatz:

  • die Bestimmung der Adhäsions­kraft mit Hilfe des Tack-Tests

  • die Bestimmung der Reibkraft

  • die optische Verfolgung der makros­kopischen und mikros­kopischen Deformation durch eine Glas­platte

  • die Bestimmung des Kontakt­wider­standes an leit­fähigen, durch leit­fähige Zusätze leit­fähig gemachten oder leit­fähig beschich­teten Proben

  • die Analyse von Einzelkontakten mit molekular­dynamischen Computer­simulationen

  • die Verfolgung der Kontaktbildung an rauen Kontakten mit molekular­dynamischen Computer­simulationen

Für die experimentelle Bestimmung der Kontakt­fläche wurden dabei definiert herge­stellte Modell­materialien ver­wendet. Die Modell­materialien sollten einer­seits das Spektrum der weichen Kunst­stoffe mit unter­schied­li­chen Anteilen thermo­plas­tischen und elasto­meren Verhaltens abdecken und repräsen­tativ für die indus­trielle Anwendung sein (PE, Weich-PVC, PU und Silikon), anderer­seits aber eine möglichst gute Eignung für die Nutzung der oben genannten Mess­methoden aufweisen, wie z. B. die Leit­fähig­keit oder leit­fähige Beschich­tung für die Kontak­twider­stands­messung, eine gewisse Klebrig­keit für die Bestimmung der Adhäsions­kraft oder eine geeignete Farbe für die opti­schen Unter­suchungen. Wich­tiger Punkt neben der Rezeptur war die gezielte Variation der Ober­flächen­struktur. Mittels verschie­dener, variabler Einfluss­para­meter wurden bei den herge­stellten Modell­materialien Mess­größen bestimmt, die mit der Kontakt­fläche zusammen­hängen und deshalb Aussagen zur Abhängig­keit der Kontakt­fläche von den jewei­ligen Einfluss­para­metern erlauben. Zur Inter­preta­tion der Experimente und für ein besseres Verständnis der Prozesse auf der Nano­ebene wurden molekular­dynamische Computer­simulationen heran­ge­zogen. Aufgrund der Komplexität gängiger Rezep­turen für weiche Kunst­stoff­beschich­tungen und dem in der Regel nicht genau defi­nierten Zustand weicher Kunst­stoffe auf atomarer Ebene wurden die Computer­simulationen an hypo­theti­schen Modell­materialien durch­ge­führt. Es war NICHT das Ziel der Simulationen, quanti­tative Werte für die wahre Kontakt­fläche konkreter Systeme unter konkreten Bedingungen vorher­zu­sagen. Statt­dessen sollten die Simulationen genutzt werden, um die Kontakt­bildung weicher Kunst­stoffe im Allge­meinen auf atomarer Ebene besser zu verstehen, experi­men­tell beobachtete Phänomene zu inter­pre­tieren und (über ggf. auftre­tende Unstimmig­keiten in der Charakte­ristik) Fehler oder Grenz­über­schrei­tungen bei den Experi­menten zu identi­fi­zieren. Die atomare Auflösung der Simulationen erlaubte darüber hinaus die Analyse des Verhaltens der Rauheits­spitzen auf niedrigster Struktur­ebene. Die Simulationen stellen damit ein wichtiges Binde­glied dar, um die verschie­denen experimen­tellen Ergebnisse mitei­nander in Beziehung zu setzen.

ERGEBNISSE | NUTZEN

Beim Laser-Scanning-Mikroskop wurde eine Methode erarbeitet, wie der Kontakt zwischen einer Kunst­stoff­folie und Glas unter Last direkt beobachtet werden kann. Die Kontakt­flächen werden dabei als schwarze Flächen auf weißem Unter­grund sicht­bar und können halb­auto­matisch quanti­fi­ziert werden (s. Abb. 1). Mit dieser Methode wurden Ergebnisse zu Abhängig­keiten zwischen Kontakt­fläche, Normal­kraft, Ober­flächen­struktur und Anpress­zeit erhalten, welche quali­tativ gut mit den Ergebnissen des Tack-Tests überein­stimmen.

Die Kombination aller experimen­tellen und simulierten Ergeb­nisse lässt stark vermuten, dass es im Forschungs­vorhaben gelungen ist, mit einer einfachen, sehr glatten PVC-Folie einen voll­ständigen Kontakt (100% der geo­metri­schen Kontakt­fläche) zu einem Silicium-Wafer zu erzeugen. Für weiche Kunst­stoff­folien mit gebrauchs­üblichen Ober­flächen­struk­turen sinkt dieser Prozent­satz in den unteren Prozent­bereich, liegt aber immer noch um viele Größen­ord­nungen über dem Wert für harte Werk­stoffe. Soweit möglich wurden die gefundenen Zusammen­hänge quanti­fi­ziert. Mit Hilfe der Simulationen war es außerdem möglich, einfache Näherungs­gleichungen zur Beschreibung der Verhältnisse bei der Kontakt­bildung auf Nano­ebene abzu­leiten. Allgemein­gültige Zusammen­hänge zur Beschreibung der Kontakt­fläche auf Makro­ebene in Abhängig­keit von Material-, Struktur- und Last­parametern konnten aller­dings aufgrund der begrenzten Mess­bereiche der Methoden und der Komplexität der Abhängig­keiten bei der Kontakt­bildung noch nicht sicher identi­fi­ziert werden. Hier besteht weiterer Forschungs­bedarf, um die gefundenen Zusammen­hänge zu konkre­ti­sieren und zu einem Modell zu verallge­meinern. Mit einem solchen Modell könnten zukünftig Ober­flächen­phäno­mene bei weichen Kunst­stoffen beschreibbar und damit vorher­sagbar werden.

   

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Dank

Das Forschungsvorhaben Reg.-Nr.: 49VF190053 „Bestimmung der wahren Kontakt­fläche weicher Kunst­stoffe“ wurde anteilig vom Bundes­ministerium für Wirt­schaft und Klima­schutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundes­tages inner­halb des Förder­programms „FuE-Förderung gemein­nütziger externer Industrie­forschungs­einrichtungen – Innovations­kompetenz (INNO-KOM) – Modul Vorlauf­forschung (VF)“ über den Projekt­träger EuroNorm GmbH gefördert. Wir bedanken uns für die gewährte Unter­stützung.

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